In der Mitte ich … eine Fortführung des e&l Artikels aus Heft 1/2018
in: Peter Schettgen u.a. (Hrsg.) Einmischen possible! Die gesellschaftspolitische Dimension der Erlebnispädagogik
Wenn ich an Pilgerwege und Wanderungen denke, stelle ich mir schöne Natur-Landschaften vor: Wälder und Wiesen, Berge und Bäche und Wanderwege, die fußfreundlich zum Gehen einladen. Unsere Wege in den Städten gehören da nicht dazu. So entstand die Idee, zu erproben, was Spiritualität im Gehen gerade auch in diesen urbanen Landschaften bedeutet.
Die Inititalzündung kam auf einer Autobahnbrücke, über die uns einer unserer Wege führte.
Wir blieben stehen und lauschten auf die Geräuschkulisse, auf das Auf- und Abschwellen
des Lärms, auf die unterschiedlichen Geräusche der fahrenden Autos.
„Es ist einen Versuch wert zu sehen, ob das hier ein Ort zum Meditieren sein kann.
Der erste Schritt: schauen und winken, wie die Kinder es tun. Ich schließe die
Augen. Laut ist es. Ich lausche, horche dem An- und Abschwellen des Klangs hinterher, höre schnelle Klänge und langsamere kommen und sich entfernen, höre tiefere und höhere Klänge. Lauschen. Hier, wo ich es nicht erwarte, gerate ich ganz in die Mitte. Um mich her klingt die Welt. Es ist meine Welt – in der Mitte ich – das ist Meditation.“
Dieser Text1 entstand auf einer Autobahnbrücke – und wir erprobten ihn dann in verschiedenen urbanen Räumen – an großen Kreuzungen und belebten Straßen, mit größeren und kleinen Gruppen. Erstaunliches passierte dabei. An einer sechsspurigen Kreuzung im Industriegürtel
von Augsburg, mit Straßenbahn und Rad- und Gehwegen war unser Impuls: „Such dir einen Ort für dich. Wir schenken dir 20 Minuten Zeit um zu lauschen. Du musst nicht auf die Zeit achten. Du wirst diese Klangschale hier hören und wir kommen wieder zusammen.“ Die Teilnehmer*innen verteilten sich in einem Radius von etwa 50 Metern.
Wir glaubten nicht mehr an unser Versprechen, dass unsere kleine Klangschale für alle zu hören sein würde. Wir versuchten es trotzdem – und selbst der am weitesten entfernte Mann aus der Gruppe hob den Kopf und sah zu uns herüber. „Ich war ganz weit woanders“ berichteten einige aus der Gruppe.
Unser nächstes Projekt war der Versuch Begegnungen auf einem Bahnsteig entstehen zu lassen. Wir waren eine kleine Gruppe spirituell Neugieriger und unser Ziel war es an Orte zu gehen, die erstmal ganz offensichtlich alles Mögliche waren, aber nicht „spirituell“ – also nie dafür gebaut und gemacht mit Transzendenz in irgend einer Form in Berührung zu kommen.
Westlich von München, an der Bahnstrecke nach Lindau liegt Geltendorf. Ein langgezogenes Dorf mit einer Bahnstation – genauer mit einem Bahn-Knotenpunkt: hier halten nicht nur die Münchner S-Bahnen, hier kreuzen sich die Gleise, von Augsburg kommend, von München, von Lindau, von Schongau. Schüler*innen fahren in alle Richtungen ab, arbeitende Menschen haben die umliegende Park & Ride Parkplätze belegt und machen sich von hier aus auf den Weg zu ihren Arbeitstätten und Tourist*innen beginnen hier einen schönen Ausflugstag – auch ins nahegelegene Kloster St. Otilien mit seinem eigenen Bahnhof.
Frei Räume nennen wir unser Projekt. Ein uralter, unbenutzter Wartesaal lädt dazu ein belebt – besetzt im wahrsten Sinne des Wortes zu werden. Wir erkundigen uns bei der Bahn. Das Bahnhofsgebäude ist längst verkauft. Wir versuchen den Besitzer zu ermitteln … und dürfen den Raum nicht mieten … im Gegensatz zu einem Feuerwerksverkauf vergangenes Silverster.
Aus der Aktion wurde nichts … oder?
Oben schrieb ich eben noch: „… an Orte zu gehen, die erstmal ganz offensichtlich alles Mögliche waren, aber nicht „spirituell“ – also nie dafür gebaut und gemacht mit Transzendenz in irgend einer Form in Berührung zu kommen…“ Und dann postet Florian aus unserer Gruppe in facebook:
„Ein Tisch mitten auf dem Bahnsteig. Heute haben wir unsern FreiRaum als Team gemeinsam abgeschlossen und nochmal Revue passieren lassen. Irgendwie sind wir gescheitert: Wir haben unsern Traum 3 Tage am Bahnhof in Geltendorf einen offenen Raum zu gestalten, um dort zu essen, zu beten und zu feiern und zu sehen was das auslöst nicht realisieren können Ein Investor hat just in diesen Tagen den Bahnhof aufgekauft, um die Immobilie weiterzuverkaufen. So haben wir im Frühjahr kurz ernsthaft überlegt ob wir 400.000 € irgendwie crowdgefunded bekommen; viel telefoniert und dann doch eingesehen, so wie wir gemeinsam geträumt hatten wird das grade nichts. Und dann war da noch ganz viel anderes Leben, dass nach uns allen Sechs wieder griff. Irgendwann war klar unser FreiRaum wird so wie wir es erhofft und auch schon geplant hatten nicht entstehen. Wir hätten heute also echt gefrustet sein können. Und es gab auch diese Momente der Traurigkeit. Viel stärker war aber das Gefühl, dass wir auf einem ganz besonderen Weg miteinander waren. Dass es eine durch und durch lebendige Zeit war. Dass wir trotz unserer Unterschiede einen Traum teilen konnten. Und dass dass schon sehr viel war.
Und so haben wir heute zum Reflektieren und Abschließen doch noch einfach einen Tisch mitten unter den Pendlern aufgestellt und dort unsern Abschied gefeiert. Begleitet vom Lärm der Züge, unter den irritierten Blicken der ins Wochende ankommenden Pendler und der DönerJungs. Zwischendurch stießen einfach so Bekannte zu uns, blieben auf ein Kaffeelänge. In einem Moment überlegten wir kurz ob wir dem Lokführer nicht auch schnell ein Stück Kuchen rauf reichen sollten, aber da rollte der Zug schon wieder an. So beobachteten wir einen Moment still den Alten der ohne Ziel den Bahnsteig leise murmelnd auf und ab wanderten und waren einfach sehr dankbar für diesen besonderen Moment.“ 2
Orte aufsuchen – Orte durchwandern … gerade da wo wir uns alltäglich bewegen. Da ist es oft laut, manchmal gar nicht schön, praktisch, hektisch.
Unsere Idee ist es, nicht davor zu fliehen – diese Orte nicht überspringen, wenn unser Pilgerweg auf einer Ausfallstraße aus der Stadt hinaus führt.
Es ist ein Versuch der weitergeht
Die Wege durch urbane Räume, die Stationen dort, an Haltestellen, auf Kreuzungen,
auf Bahnhöfen haben sich als „Ortemittendrin“ erwiesen, die es wert sinderprobt zu werden.
Foto (Florian Schuppe): Bahnhof Geltendorf – ganz unspektakulär und dann sehr aufregend – ein Kaffeetisch auf Gleis 1