Supervision

Ulrike Dittmar
Supervision im Laufen – ein Versuch

Der Verbindung von motorischen Ausdrucksformen und der psychischen Befindlichkeit galt für mich als „Bewegungsmensch“ schon immer besondere Aufmerksamkeit. Dieser Ansatz führte zu einer Weiterqualifikation im Bereich der Psychomotorik, in der die Bewegung als Ausdruck der Gesamtbefindlichkeit verstanden und interpretiert wird (1). Die Psychomotorik findet zunehmend auch in der Arbeit mit Erwachsenen Anwendung.
Was lag näher als der Versuch die Erkenntnisse und Erfahrungen aus der analytischen Supervision in ein „Bewegungssetting“ zu versetzen und auszuprobieren, was dabei passiert.

Die Hypothese lautete:
Durch die Bewegung werden die (bewussten und unbewussten) Ausdrucksmöglichkeiten für den Supervisanden/ die Supervisandin vielfacher. Ebenso können auch die Interventionsmöglichkeiten des Supervisors/der Supervisorin Erweiterung erfahren.
Für den Versuch einer Laufsupervision über 10 Einzelstunden konnte eine Supervsiandin gewonnen werden. Sabine M., 28 Jahre, Sozialpädagogin in einem Akutkrankenhaus, regelmäßige Läuferin.

Eine Grundvoraussetzung war, dass die konditionellen Fähigkeiten der Supervisandin die der Supervisorin (passionierte Läuferin) nicht überschreiten, damit die nötige Aufmerksamkeit während der Supervision nicht durch Konditionsschwierigkeiten beeinträchtigt wird. In einer ersten Besprechung wurden folgende Vorbedingungen geklärt:
Die „Sitzungen“ finden in einem Abstand von 3-4 Wochen statt, thematisch sollte die Arbeitssituation der Supervisandin im Mittelpunkt stehen.

Geplant war – wegen einer optimalen Vergleichbarkeit – immer die gleiche Strecke und die gleiche Zeit zu laufen. Das erwies sich als schwierig einmal wegen der Witterungsverhältnisse, aber auch weil die aktuelle Laufzeit durch den Prozess der einzelnen Stunde mitbestimmt wurde. Darauf wird im einzelnen noch eingegangen.
Der Supervisandin war die Bestimmung der Laufgeschwindigkeit überlassen. Wenn nötig konnte sie auch zum Gehen und bis zum Stehenbleiben verlangsamen. In diesem Versuch war eine solche Verlangsamung nicht der Fall.

Im Folgenden wird ein erster Betrachtungsschwerpunkt auf dem ganz anderen Setting des Versuches liegen, daran schließen sich Überlegungen zur Laufgeschwindigkeit an, die sich zusammen mit kleinen Bewegungsauffälligkeiten als eine der wichtigsten Beobachtungsgrundlagen erwies.
Dazu folgen einige konkrete Beispiele.
Den Abschluß bilden Gedanken zur Übertragung- und Gegenübertragung in dem besonderen Setting.


1. Das Setting

Ursprünglich war wegen der besseren Vergleichbarkeit geplant, immer die gleiche Strecke und die gleiche Zeit zu laufen. Durch die Witterungsumstände, der Versuch lag im Winterhalbjahr, und die jahreszeitlich bedingte Dunkelheit lies sich das nicht durchführen. Im Laufe der 10 Stunden wurde sowohl die Strecke gewechselt, aber auch unterschliedlich lange gelaufen. Es stellte sich dabei heraus, dass die Gleichheit der Strecke und Zeit nicht so entscheidend sind, wenn die Dauer des Laufs und die Streckenwahl in den Prozeß mit hinein genommen werden.

Der Prozeß der einzelnen Stunden entwickelte eine Eigendynamik und die Stunde war in der Regel beendet, wenn die nötige Zeit „abgelaufen“ war. Auch wenn das – wie es einmal geschah – die übliche Laufzeit der Supervisandin überschritt.

Bei diesem Versuch handelte es sich um eine Laufzeit zwischen 45min und 60 min. Bei konditionell stärkeren Supervisanden könnte sich die Zeit verlängern. Ein Lauf über 90 min hinaus ist nicht sinnvoll, da, ähnlich wie im klassischen Setting, die Aufmerksamkeit und Konzentration nachläßt.

Nachdem es sich durch die Witterungsumstände ergeben hat, die Strecke zu wechslen, wurde die Supervisandin zur Streckenauswahl mit befragt. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß das Wetter manchmal nur eine bestimmte Strecke erlaubte, ist aufgefallen, daß die Supervisandin einmal für ein sehr mühsames Thema (Abgrenzung) eine eher bergige Strecke auswählte und für eine Stunde, in der alles „ins Laufen“ kommen sollte ( das Bewerbungsgespräch auf der neuen Stelle) eine flache, schnelle Strecke wählte.

Das Unterbewußsein wird an der Wahl der Strecke mit beteiligt gewesen sein. Wenn es der Supervisandin,/dem Supervisanden freigestellt wird, gilt es dieser Auswahl im Prozeß noch weitere Aufmerksamkeit zu schenken.

2. Laufgeschwindigkeit

Die Grundgeschwindigkeit für eine Supervision im Laufen sollte die eines Dauerlaufs mit regenerativem Charakter sein, bei dem eine unterschwellige Belastung vorliegt (2).

Im Verlauf des Gesamtprozesses stellte sich besonders bei der Laufgeschwindigkeit, im unterschiedlichen Laufstil und in kleinen Bewegungsauffälligkeiten (Stolpern/ ungewohnte Schwerfälligkeit, Kurzatmigkeit…) eine Bestätigung der Hypothese heraus. Die Ausdrucksmöglichkeiten der Supervisandin, die es zu interpretieren galt, standen in einer größeren Vielfalt zu Verfügung. Die Achtsamkeit darauf ( ohne anderes zu vernachlässigen) erwies sich als Bereicherung.

Zum Beispiel war zu beobachten, daß sich die Geschwindigkeit bei tiefgehenden Themen (Vergangenheit) oder beim Ansprechen von Ängsten reduzierte. Bei Gefühlen wie Wut oder Ärger, steigerte sie sich, noch mehr, wenn es um unterdrückte oder gar unbewußte Wut ging. Über unterdrückte Gefühle „lief“ die Supervisandin buchstäblich hinweg.

So kann der Ausdruck aus der Bewegung für die Arbeit mit verwendet werden.

Wahrscheinlich werde diese Auffälligkeiten immer wieder in ähnlicher Art und Weise auftreten, das eine Beispiel erlaubt nicht sie zu verallgemeinern. Entscheidend erscheint aber die deutliche Verbindung zwischen psychischer Befindlichkeit und dem Bewegungsausdruck.

Im Folgenden wird das in konkreten Beispielen aus dem Versuch veranschaulicht.

Tempo

Die Supervisandin berichtete von einer schwierigen Patientin, die sich ungerecht behandelt fühlte. Diese Konfrontation löste Ärger und Wut aus, die Supervisandin fühlte sich verletzt.

S (Supervisandin): Ich mußte ihr einen abschlägigen Bescheidgeben, sie bekam kein Einzelzimmer und da begann sie mich
anzubrüllen. Sie sei eine arme alte Frau, ich glaube wohl mit ihr könne man es machen, sie würde sich bei meinen Vorgesetzten beschweren, und alle im Zimmer hörten zu.

( währdend dieser Schilderung steigerte sie das Tempo kontinuierlich)

U (Supervisorin): Die hat Sie ja ganz schön niedergemacht, wie ging es Ihnen in der Situation?

S: ( überlegte, lief langsamer und sagte) ich habe mich geärgert,das ist einfach unverschämt mich so anzubrüllen, sie hat richtg
geschrieen , vor allen anderen…
( in einer Wiederholung der Beschreibung steigerte sie das Tempo wieder)

U: ( verlangsamt bewußt das Tempo ohne einen weiteren Impuls)

Pause

S: Wütend war ich, verletzt und ich habe auch gedacht, was denken die jetzt auf Station von mir, gehe ich wirklich so mit
einer alten Frau um.

U: War da auch Angst?

… im weiteren Verlauf konnte die Supervisandin in einem sehr gemäßigten Tempo, auf das genau geachtet wurde, ihre unterschiedlichen Gefühle in der Situation ansprechen und bearbeiten.

Wichtig war dabei die Möglichkeit der Intervention allein durch die Bewegung. Eine Temporeduzierung hatte die gleiche Wirkung wie die das Nachgfragen. Die Gefühle konnten nicht mehr „übergangen“ bzw. „überlaufen“ werden und kamen zur Sprache.

Bewegungsauffälligkeiten

Schwerfälligkeit

Die Supervisandin war gebeten ihre eigene Befindlichkeit beim Laufen zu thematisieren und so ergab sich folgender Dialog, bei dem die Laufbefindlichkeit den Weg zu einem aktuellen Problem und dessen Bearbeitung eröffnete.

S: Ich weiß gar nicht was heute ist, ich laufe als hätte ich einen schweren Sack auf dem Rücken.

U : Was könnte denn in diesem Sack sein?
S: (im Weiterlaufen bei ähnlichem, eher langsamen Tempo):
Ich glaube das Abschiednehmen (in diese Zeit fiel der Stellenwechsel der Supervisandin)

U: Das drückt…

S: Berichtet über verschiedene Abschiedssituationen, die Traurigkeit und die Ängste davor (dabei wird der Laufstil wieder lockerer und etwas schneller).

Kurzatmigkeit:

Auch Kurzatmigkeit, die nicht an einer Temopsteigerung und an der Wegstrecke liegt, bekam einen Hinweischarakter. Zum Besipiel trat in diesem Versuch Kurzatmigkeit immer auf, wenn die Supervisandin sich verletzt fühlte, sich dessen aber nicht bewußt war oder es sich nicht eingestehen konnte. Besonders in der Beziehung zum direkten Vorgesetzten kam es zu Verletzungen durch mangelnde Wertschätzung, Spott vor anderen und scharfe Kritik wegen Kleinigkeiten.

S: Manchnmal ist er schon komisch (der Chef)

U: Was war so komisch ?

S: (atmet heftiger, obwohl die Strecke gleichmäßig flach bleibt)
Beim Mittagessen mußte er wieder so eine Bemerkung machen.
(atmet noch heftiger)

U: (verlangsamt des Tempo , die Atmung von S. bleibt heftig)

S: Über mich, also, daß ich im Appartment des Krankenhauses wohne… also er sagt, da muß man schon ganz merkwürdig sein,daß man das aushält, er könne es ja nicht. .. Die anderen wechselten gleich das Thema (weiterhin heftige Atmung)

U: Was war da so komisch?

S: Naja, so hat er getan (Atmung wird noch heftiger)… als wäre es ein Witz.

U: Und wie kam die Bemerkung bei Ihnen an?

S: (verlangsamt) … das verletzt!
(in dem Moment; als das ausgesprochen war, regulierte sich die Atmung)

Stolpern

Ein weiterer Hinweis in der Bewegung zeigte, daß in diesem Versuch ein Stolpern ohne sichtlichen Grund auf innere Widerstände schließen lies ( da steht etwas in Weg).

Zu den Arbeitsbereichen der Supervisandin gehört auch die Suchtberatung. In diesem Bereich sind die Forderungen der Klienten sehr hoch und die Abgrenzung war für die Supervisandin gelegentlich sehr schwierig. Im Gespräch darüber zeigte sie im Laufen, bzw. Stolpern deutliche Widerstände.

S: berichtet von einer Patientin, die sie beraten hat und die- nun wieder im Krankenhaus- zeigt, daß sie ohne enge Betreuung daheim nicht leben will (bis hin zu Suiciddrohungen). Eine Betreuung, die sie sich von der Supervisandin erhofft.

U: Wie weit geht Ihr Verantwortungsbereich?

S: Eigentlich nur hier im Haus, ich habe ihr die Unterkunft vermittelt.

U: Dann haben Sie das getan, was Sie in diesem Fall tun können.

S: Ja (stolpert), aber… (Pause)…ich habe ein blödes Gefühl.

U: Ihr Verantwortungsbereich ist abgedeckt!

S: (Läuft weiter, stolpert mehrrmals) das reicht doch nicht, dasdarf ich doch nicht!

U: Was dürfen Sie nicht?

S: Sie so alleine lassen!

U: Wer sagt, dass Sie das nicht dürfen?

S: (läuft langsamer weiter) Ich selbst?

U: Sie haben viel für die Patientin getan

S: Aber wenn jetzt etwas passiert… (läuft ohne Stolpern aber nicht flüssig)

U: Wenn Sie noch mehr tun würden, würde das genügen?

S: (läuft weiter, stolpert noch einmal, dann wird der Stil flüssiger)
Wahrscheinlich nicht, wenn die sich umbringen will, kann ich auch nichts machen… ich darf mich da auch wieder rausziehen.

Grundsätzlich ist es natürlich wichtig vor der Deutung der körperllichen Phänomene – und das gilt für die Bewegungsauffälligkeiten und die Laufgeschwindigkeit ebenso wie für die Übertragung und Gegenbübertragungsgefühle – der eigenen körperlichen Befindlichkeit und der der Supervisanden eine höhere Aufmerksamkeit zu schenken. Diese ist ja auch Schwankungen unterworfen und so ist vor der Deutung des Bewegungsausdrucks ein möglicher Zusammenhang mit der Befindlichkeit des Tages (Erkältung, Schmerzen, Verletzung, Müdigkeit…) abzuklären.

Übertragung und Gegenübertragung im Laufen

Gerade da ist es wichtig, wie schon im Vorfeld erwähnt, daß die konditionellen Fähigkeiten der Supervisandin nicht über denen der Supervisorin liegen, da sonst zu wenig Kraft für die supervisorische Arbeit vorhanden ist.

Mit der nötigen Aufmerksamkeit kommt dann die Übertragung und Gegenübertragung genau wie im kassischen Setting zum Tragen. Interessant war zusätzlich die Erfahrung , daß die Gegenübertragung bis hinein in die eigene körperliche Befindlichkeit wirkte.Während einer Stunde hatte die Supevisorin von Anfang an Probleme mit dem Tempo ohne eine konkrete Ursache dafür zu finden.Erst im Laufe der Stunde ergab sich, daß damit das anstrengende Thema der Supervisandin ausgedrückt wurde.Es ging um den zu lebenden Anschied auf der einen Seite und gleichzeitig eine aktive Hinwendung zu der neuen Stelle ( Wohungssuche, Planungen, beginnende Identifikation mit der neuen Stelle). Dieser emotionale Spagat kostete große Anstrengung, die die Supervisorin in der Gegenübertragung erfuhr.
Erst im Erkennen und Ansprechen dieses emotionalen Spagats wurde das Laufen für die Supervsiorin wieder leichter.

S: (läuft locker und erzählt vom Abschiednehmen, von der neuen Wohung und von der neuen Stelle)Wir kümmern uns dort darum diese Menschen wieder in dennormalen Arbeitsprozeß einzugliedern.

U: Mir fällt auf, Sie stehen gerade auf zwei Ufern, da ist der Abschied auf dem einen Ufer, Sie sind noch nicht abgefahren,
aber auf dem anderen Ufer haben Sie schon ihr Zelt aufgebaut.

(Im Aussprechen wurde das Laufen einfacher, das Tempo aber zugleich langsamer, da die Supervsisandin jetzt die Anstrengung selbst spürte und ihr Tempo verlangsamen mußte)

Fazit

Die Hypothese, dass sowohl die Ausdrucksmöglickeiten eines Supervisanden/einer Supervisandin größer werden, als auch die Interventionsmöglichkeiten eine größere Vielfalt gewinnen, hat sich in diesem einen Versuch bestätigt. Wichtig war auch die Erfahrung, dass sich die Übertragung und Gegenübertragung bis hinein in die körperlichen Befindlichkeiten erstreckt und genutzt werden kann.

Der Versuch macht Mut und Lust zugleich ihn zu wiederholen und

weitere Erfahrungen zu sammeln.

Literatur

Zimmer, Renate: Handbuch der Psychomotorik
Freiburg,Basel, Wien, Herder 2. Auflage 1999
Wessinghage, Dr., Thomas: Laufen
Ein Ratgeber für Ausrüstung, Technik, Training,
Ernährung und Laufmedizin. überarbeitete Auflage,
Münschen, Wien, Zürich, BLV 1996

Anmerkungen

Handbuch der Psychomotorik: S. 46-48

Laufen, S. 41